Beobachten, weil: Sonnenuntergang. Beobachten, weil: abgebrochene Straßenecken. Weil: Straßenzüge, die in Monumenten enden. Weil: Gegenden, die in der Kälte enden.
Und ich glaube, ich möchte erfrieren.
Weißt du, ich trage keinen dieser altmodischen Namen, obwohl ich einen haben wollte. Einen, der angenehm auf der Zunge liegt, eine Art Murmel. Auch war ich nie in einer der Thermen in Montecatini Terme, als ich da war. Meine Haare waren orange, jetzt trinke ich das Berliner Leitungswasser so, als wäre es das Allheilmittel gegen das, was intern auffressen kann. Intern.
Das darf alles nicht mit Musik unterlegt sein, es muss ruhig sein. Im Hintergrund die Waschmaschine, ein wohliges Geräusch, vertraut, erinnert an die U-Bahn, wenn sie sich zwischen Halleschem Tor und Kurfürstenstraße so anhört wie ein Zug im Fernverkehr. Es plätschert so vor sich hin. Die Frau beim Optiker, die mir erklärte, dass sich meine Linsen mit jeder Augenbewegung neu ausrichten und die mir versicherte, es sei normal, dass man das Gefühl hat, auf die Nähe nicht so gut sehen zu können wie mit Brille. Vor meinem geistigen Auge ein Pendel. Hin und her, hin und her. Ich blinzle, bin wieder kurz davor zu weinen, sie sagt, ich darf ruhig blinzeln. Seit ein paar Tagen ständig dieses unkontrollierbare Weinen; dann weine ich tatsächlich auf Höhe Prinzenstraße und dann ist da dieser Mann in der U1, der mich fragt, ob es mir gut ginge. Ich verneine, er lächelt auf eine Art und Weise, die ich nicht gewohnt bin von den sonst oft harten Gesichtern in der U-Bahn.
Mir fehlen die Fahrten an die Endhaltestellen, früher, in Dresden, die Versuche, sich durch das Fahren von einem zum anderen Anfangspunkt zu beruhigen. Meist ein Scheitern, das Bewusstsein, dass sich alles viel intensiver anfühlt, fast wie im Delirium, fast wie beim Schreiben. Irgendwann hier die Erkenntnis: ich glaube, die Trauerarbeit habe ich erst vor ein paar Tagen begonnen.
Und dann, auf einmal: Nacht im Kopf. Weil es nichts mehr gab, an dem man sich festhalten konnte. Weil die Worte der Anderen nicht die Worte meines Einzelnen waren. Weil sie mich umarmten und mir sagten, sie hätten sich eine Tochter wie mich gewünscht. Weil sie mich mit ihrer Wärme überspülten, weil ich in der Kälte gefangen war. Die Hacken noch nicht einmal blutig.
Ich hätte nicht alleine fahren dürfen. Aber wie hätte ich dir das sagen sollen?
Ich habe nachgesehen. Das waren durchschnittlich zwanzig Grad, das war neunzehnhundertsiebenundachtzig, das war irgendwo in einem Grau, in den Boxen, in denen die Menschen wohnen. Man möge das verstehen, wenn es selbst für einen so weit ist, wenn man sich durchringen kann dazu.
All das habe ich kartographiert. Die Distanz und die Monate, in denen man im Spiegel auch nicht mal im Ansatz das Gesicht des Anderen gesehen hat. Dann stolpert man über Schleppen und Säume und reißt sich die Haut auf. Es zwiebelt ja so schön, da weht eine steife Brise. Man wird sehen, was übrig bleibt davon, immer dieses Atmen unter Wasser, immer diese Glocke über Erinnerungen. Ich hätte ja gerne Kisten gehabt, in die ich all das hätte schieben können, aber ich lebe lieber ohne Monster unterm Bett.