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Viel Sonne, gute Laune bis circa halb sieben. Ganze Nacht durchgeweint – erster gefühlter Rückfall seit sehr langer Zeit; manchmal klopfen Muster von vor fünf Monaten an meiner Tür. Schlafe erschöpft zu Arbeit und Struktur ein.
Die Frage, wie viel das Anti-Depressivum meine Emotionen gedämpft hat, wie viel man damit tatsächlich eigentlich fühlen kann. Stelle fest: im Vergleich zu dem, was ich jetzt an „Emotionsspektren“ fühlen kann, war ich die letzten Monate emotional tot.
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Ich fühle mich sehr zu viel. Viel Herrndorf, Gedanken an Christa und Kopfschmerzen. Schlafe am Nachmittag ein, habe das alte Berlin verkauft, die alten getrockneten Blumen von vor einem Jahr liegen endlich in einer Mülltüte in den Tonnen im Innenhof. Will mich gerade nicht mehr an März bis Dezember des letzten Jahres erinnern.
Vormittag. Erstes Gespräch, ich weine vor ihm, endgültigen Test bestanden, dann sagt er: Sie sind krank und in Bezug auf das Ausschleichen bzw Absetzen des Medikaments: (…) da ist es normal, dass Sie dünnhäutig sind. Vergesse das mit dem krank sein immer wieder, aber bei manch anderen Krankheiten merkt man auch nur die schlimmen Phasen. Blättern im Notizbuch, das ich in der Klinik führte: die 30 werde ich nicht erleben. Erschrecken. Kann man das vergleichen mit Schnupfen, Reizhusten und Tuberkulose?
Ich fühle mich sehr zu viel. Nennen wir das Selbstschutz und beginnen wir mit einer Verknappung der Sprache. Schon längst begonnen und umgesetzt. Konsolidierung. Heute: Eingangsbestätigung des Antrags auf Zulassung. Bitte sei einmal einfach nur genug.
Der Himmel läuft goldgelb an im Sonnenuntergang. Das sieht man Dank der Innenhoffassade, die mich anblickt. Werde noch bis mindestens Februar hier wohnen bleiben. Muss mein Leben erst noch ersehen.
Wollte eigentlich Christa, Herrndorf und Helene Weigel auf dem Dorotheenstädischen besuchen gehen. Zu kalt, zu windig, das herausschwemmende Moclobemid hat schon genug Dienst getan.
Manche Menschen sind vom Körperbau her groß, im Inneren aber sehr klein, bei manchen ist es umgekehrt. Selbstschutz ist mir derzeit einfach wichtiger als Etikette. Mag mir momentan nur von meinem Therapeuten im Inneren herumwühlen lassen; reden und erklären kann man, das ist kein herumwühlen. An alle Kopfschüttler: lauft mit meiner Biografie, meinem Empathie-/ & Sensibilitätslevel und meinen bisherigen zwischenmenschlichen Erfahrungen mal zehn Tage in meinen Schuhen durch die Stadt (und tragt dazu noch ein riesiges schwarzes Loch im Kopf und teilweise unnötige Schuldgefühle, die aber größer sind als die Milchstraße mit euch herum) – dann können wir gerne über Selbstschutz debattieren. Wer mich darüber hinaus, deswegen oder wegen was auch immer, zurücklassen will, soll das tun. Ich lerne gerade laufen und versuche mich selbst im Zwischenmenschlichen einem Normal anzunähern, das mir jedes Mal viel Kraft abverlangt (aber ohne meine engsten Vertrauten und Freunde nicht umzusetzen wäre – ich bin für jeden Einzelnen von euch dankbar). Ich habe früher nicht gelernt, wie das alles funktioniert. Jeder Tag ein Zurückkämpfen. Er sagte heute vormittag: Sie bekommen sehr viel hin, aber in einer Sparte sind Sie defizitär, der Selbstversorgung – und da sprechen wir alle Ebenen an. Sie dürfen sich anschauen, was alles funktioniert. Sie funktionieren. Ich funktioniere. Funktioniere. Funktion. Routine gesucht, erarbeitet, erkämpft.
Arbeit und Struktur.
I’m empty but
I’m never alone
(Sophie Hunger – Supermoon)