bug eyes

Untitled by smallcutsensations

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(Find some English explanation here.)
In der Klinik geben sie mir Vollwertkost, meist noch mit Nachschlag. Ich esse das alles, nehme aber immer weiter ab. Im Zimmer neben der Küche kotzt eine Patienten alles aus, immer wieder.
Hier und zu Hause: ich liege in Betten, in denen ich nicht schlafen, ich denke an Menschen, die ich nicht bis nicht mehr sehen kann oder darf.
Gespräche führen, der Arzt ist da. Einteilungen und die Kriterien, oder umgekehrt.
Emotionales Befinden. Schlaf. Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust. Angst. Entscheidungsunfähigkeit. Schlechte Stimmung über den Tag. Unfähigkeit den Alltag zu bewältigen. Versagensgefühle. Schuldgefühle. Körperliche Beschwerden. Suizidgedanken.
Ich fühle mich entrückt, das sagt man, das sage ich, entfremdet. Traurig. Ansonsten fühle ich nichts. In meinem Inneren eine Art Vakuum. Das kenne ich schon von anderen Menschen.
Es ist eine Klinik, es wird dir wieder gut gehen, du wirst sehen, alles wird gut.
Ich habe Angst, große sogar und mir läuft die Zeit davon. So geschockt, entrückt zu sein von allem und allen wünsche ich niemandem. An sich selbst zweifeln. Ich lerne nie. Ich sag es immer wieder. Nie wieder einem Menschen leidenschaftlich begegnen, nur noch einer Sache. Alles weitere ist unberechenbar. Wie bitter.

Das Lithium macht lethargisch. Ich entschuldige mich bei allen, denen ich auf die Nerven gefallen sein könnte. Bei allen außer mir, denn ich fühle mich nicht mehr. All die Eierschalen, die noch von meiner Sozialisierung an mir kleben, werde ich nicht los. Ich bin kein Charakter aus Hesses Demian, auch wenn ich mich daran erinnere, wie es war, in Calw auf seiner Grundschulbank zu sitzen. Auch wenn ich aus diesem Buch zitieren kann. Genauso wie aus „Der fremde Freund“ von Christoph Hein. Wer hätte gedacht, dass diese beiden Bücher, schon immer Schlüsselbücher für mich, mal so wahr werden würden. Nicht nur was den Titel anbelangt.

Träumst du nicht auch gelegentlich von Katharsis? Ich jedenfalls muss mir Gründe geben, nicht auf gewisse Erlebnisse zurückzufallen. Dafür die Tabletten. Ich hoffe du verstehst. Wenn nicht, dann hoffe ich, dass man darüber zumindest mal nachdenken kann.

Das Valproat ist toxisch. Stimmungsstabilisatoren scheinen für meinen Körper auszufallen. Mitte Dezember Nierenkolik, dann fast Nierenversagen. Fast vier Tage am Stück verloren. Und die Stimme in meinem Kopf, die mir immer wieder sagt: ich will nicht in die Klinik zurück. Und die andere Stimme in meinem Kopf, die mir sagt: du solltest in die Klinik zurück.

Es gibt für Menschen keine Bedienungsanleitung. Nur die Aufkleber, die auch an Haltestellen kleben: Bitte hier streicheln. Alles weitere muss die Empathie regeln. Oder das pure Hineinversetzen in andere Menschen. Oder eben Altruismus. Ich möchte mich nicht mehr erklären müssen, nur um dann zu erfahren, dass man mir nicht zugehört hat. Ich möchte mich nicht mehr auf Arbeit übergeben müssen. Ich möchte mich generell nicht mehr übergeben müssen. Weder wegen Medikamenten noch wegen anderer Menschen noch wegen verstörender Erlebnisse. Ich möchte nicht mehr erleben müssen, dass nicht mehr zu leben die einzige Alternative zum derzeitigen Zustand ist.

Das Gefühl, eine Art von Schuld auf sich geladen zu haben, die man nie auf sich laden wollte. Ich bin das Gift, das man aus seinem Körper spülen muss. Das sagt mir mein Kopf.

Mein Kopf kann ein ziemliches Arschloch sein, wenn der Serotoningehalt nicht stimmt. Ich weiß, wovon ich rede (siehe oben).
Dann lebt man in Namen, die man sich selbst nicht gegeben hat. Oder lebt weiterhin in Namen, die man mal gekannt hat.
Doch vielleicht ist das nur der alte Mensch in mir drin. Der hat noch nie im aktuellen Zeitgeschehen gelebt. Er hat sich nämlich immer gewundert, wieso die Zeit so schnell vergeht.

Man stellt fest für 2015:
– Es ist nicht schlimm zu sagen, dass man in der Klinik war. Vor allem nicht, wenn es dabei hilft, einen Therapieplatz zu bekommen.
– Leben ohne Filter mag schmerzhaft sein, aber ein Leben mit Filter ist emotional verkrüppelnd.
– Ich bin nicht meine Vergangenheit, aber ich muss akzeptieren, dass sie momentan ein großer Teil meiner Gegenwart ist.
– Auch wenn ich panische Angst davor habe: ich verbrenne lieber für Menschen, als alles und jeden ewig auf Abstand zu halten.
– Selbstschutz ist legitim, kann aber unfassbar verletzend sein. In alle Richtungen.
– Ich sehe es nicht mehr ein zu schweigen. Ich sehe es nicht mehr ein, mich auf meine schlechten Momente, meine panischen, meine menschlichen Momente reduzieren zu lassen. Ich sehe es nicht mehr ein, mich ungerecht behandeln zu lassen. Ich sehe es nicht mehr ein, mir eine negative Intention für mein Handeln unterstellen zu lassen. Ich sehe es nicht mehr ein, das gesellschaftliche Stigma, das psychisch Erkrankte indoktriniert bekommen, zu tragen wie ein Kreuz.
– Ich kann nichts dafür, wenn man nicht mit mir spricht.
– Ich bin nicht schuld an meiner Erkrankung.

Am Dienstag habe ich mein erstes Therapievorgespräch.

it’s been ten years stong
that’s much too long
it’s time to do something good for my health
time to do something good for myself

I shut doors and windows

Untitled by smallcutsensations
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Irgendwann lerne ich meine Plattentektonik auswendig. Verstehe vielleicht, wieso es in manchen Organen Sollbruchstellen gibt und manche von ihnen Rohrkrepierer sind. Eventuell erfahre ich dann, welche Prosa erwünscht ist, welche ignoriert wird. Die Antwort habe ich schon, keine ist erwünscht. Das Knacken meiner mich begrenzenden Schichten, Implosion.
Irgendwann lerne ich die Grausamkeit der Dinge zu ertragen; immer wieder tappe ich in meine eigene Altruismus-Falle. Nicht alle lieben andere Menschen, einfach so. Und denen, die das tun, unterstellen sie eine Agenda. Nie wieder einem anderen Menschen leidenschaftlich begegnen, vielleicht nur noch Dingen; aber ich lerne doch nie, ich lasse sie nur weiter meine Erfahrungswerte bestätigen. Man muss Angst davor haben, mehr als vor sich selbst.

Immer diese Erdbeben, mehr als eine neun auf der Richterskala. Zwei habe ich schon verloren, drei kommen 2014 hinzu. Nicht mehr da, verschluckt.
Alles was ich sehe, sind Ruinen. Und man trägt noch weitere große Steine ab, zerbröselt und verteilt sie in den Wüsten über die manche mit dem Flugzeug fliegen.

Implosion. Ich kann mich nicht viel kleiner machen, der Körper frisst mich schon auf.
Es gibt mich nicht. Und es hört nicht auf, wehzutun. Nicht mein Fokus, nicht mein Fokus, nicht mein Fokus. Das hier wird niemals dreißig.

helvete

Oblivion II

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Ich sitze im Leibchen auf den Gedankenterassen dieser Welt, kaufe Bücher, die ich nie lesen, Vinyl, das ich selten hören, sehne mich nach etwas, das ich kaum bis selten sehen werde. Meine Muster und die Unvorhersehbarkeit der Hornhautbildung an den Fingerkuppen beim Schreiben, Lesen, Kreieren, beim Langfahren auf der Haut anderer Menschen. Ich denke an Frischhaltefolien, dabei ist meine eigene mit einer Art Imprägnierschicht versehen. Abgerutscht, nie gekannt, nie gefühlt.
Dabei hätte man zu gerne erzählt, was die Stille zwischen den Tönen ausmacht. So, wie ich immer den schnellsten Internetanschluss haben will, will ich immer das Absolute, keine Kopie, kein Lückenbüßer sein. Und dann verliert man Filme, verliert Originale, packt nur noch Kopien ein. Da liegt der Unterschied. Ich will ans Meer, ich will mein eigenes Manifest.

it’s hard to understand
‚cause when you’re really by yourself
it’s hard to find someone to hold your hand

Empire

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∆ 34
Ich möchte, dass du weißt, dass ich nicht mehr alles kann. Ich fühle mich nicht mehr sicher. Wenn ich das sage, ist es zu viel. Wenn ich es nicht sage, ist es zu wenig.

Es ist fast wie bei den Montagsgesprächen. Nur sitze ich bei Hedwig und nicht in der IAP. Wie geht es Ihnen? Er lächelt, ich antworte. Ich weiß es nicht. Es ist so, dass sich eigentlich nichts geändert hat im Vergleich zu vor meinem Aufenthalt. Manches ist sogar schlimmer geworden. Ich komme mit der Überforderung der Anderen nicht zurecht und ich bin dadurch sehr verletzt. Man wird schließlich nicht von einer psychiatrischen Station entlassen in einem gesunden Zustand. Bei einem gebrochenen Bein muss man auch erst noch in die Reha. Nur der Psyche gesteht man das nicht zu.
Wie sieht es mit Ihren Symptomen aus? Ich schlafe schlecht bis kaum, wache immer wieder auf. Meine Stimmung ist schlecht bis suboptimal. Ich fühle nichts mehr. Freude ist, wenn vorhanden, sehr kurzlebig. Ich ziehe mich momentan komplett zurück. Ob ich da bin oder nicht macht eh keinen Unterschied, glaube ich. Und die Suizidgedanken? Sind latent immer da. Sind sie akut? Sie sind schlimm. Und der Appetit? Ich esse nicht mehr viel, ich schätze, ich habe in der letzten Woche zwei Kilo abgenommen. Aber Sie wurden letzte Woche erst entlassen. Ja.
Der Psychologe holt meinen Stationsarzt dazu. Sie flüstern ein wenig auf dem Flur, dann kommen sie rein. So wie sie mich anschauen, fühlt es sich so an, als würden sie mich am liebsten direkt wieder dabehalten. E höre ich in der Küche lachen. Wie ist es mit der Unruhe? Es fehlen noch fünf Millimeter, dann bin ich drin. Also ist die Angst davor sehr groß. Und die Tagesverfassung? Am Morgen wache ich nicht ausgeruht auf, nachdem ich meine erste Dosis Antidepressiva genommen habe, habe ich das Gefühl, dass es besser geht. Meinen Peak habe ich zwei Stunden nach der zweiten Dosis. Gegen Abend dann laufe ich wieder gegen eine Wand.
Fühlen Sie sich bereit? Nein. Ich fühle mich wie den letzten Dreck. Aber ich möchte nicht wieder auf Station. Manchmal ist es eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Nur wenn ich halbherzig und widerwillig auf Station zurückgehe, nehme ich jemandem einen Platz weg, der es dringender braucht. Tut man das potenziell nicht immer? Ich nicke und lache ein wenig. Ich will nicht wieder zurück.

Sie versuchen einen anderen Phasenstabilisator mit mir. Ich habe Panik vor dessen Nebenwirkungen. Wenigstens muss ich für die nächsten Wochen nicht mehr zu meinem originalen Quacksalber-Psychiater gehen.

Tried to kill it all away
But I remember everything
What have I become my sweetest friend?
Everyone I know goes away in the end