I want to feel the pain and the bitter taste

Untitled by smallcutsensations

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Irgendwo liest man, wie schnell die Zeit vorübergeht und dem stimme ich nur zu, man gibt sich wieder Rahmen. Es gibt jetzt ein davor und danach, das gibt es wohl immer, aber bei mir ist es die Zeit vor dem Warnschuss vor den Bug und die danach. Ich muss mal kurz rekapitulieren.
Davor:
„Das klingt jetzt vielleicht etwas harsch, aber vor der Therapie war alles nur dumpf, jetzt ist es so, als fehle da ein Filter und es geht alles noch viel tiefer in mich rein und tut mir noch viel mehr weh. Auch wenn man jetzt das Gegenteil behaupten könnte – ich lebe nicht wirklich, ich dokumentiere nur, ich nehme an nichts so wirklich teil.“ 
Ich will diesen Filter nie wieder zurück haben, auch wenn es länger dauert und ich dessen Abwesenheit gelegentlich verfluche, man sich ganz anders zusammennähen muss und es alles tiefer reingeht. Man kann sich darin verrennen, falsch abbiegen, sicher. 
Währenddessen:
„Ihren Einwand nehme ich ernst, allerdings habe ich direkt beim Beratungsgespräch, der Aufnahme und der Visite gesagt, dass ich keine Medikamente nehmen will – dabei bleibe ich auch vorerst. Ich will diesen inneren Krieg gegen das Schwarze Loch in meinem Kopf gewinnen, aus eigener Kraft.“
Danach:
„Am Meer war es wirklich schön, es ist Wahnsinn, wie sehr es „erdet“. Ich habe auch einige Fotos gemacht, vielleicht kann ich die Ihnen bei der nächsten Sitzung schon zeigen. Wie es mir geht, weiß ich nicht so wirklich, in mir kämpft es immer noch, aber ich versuche mir jetzt jeden Tag etwas vorzunehmen am Vormittag, damit ich meinen Tagesrhythmus aufrecht erhalten kann.“
In neun Monaten bin ich hier weg und dazwischen werde ich wohl wieder bluten, innerlich, aber das ist schon okay so. Die drei Wahlmöglichkeiten: Resignation, Akzeptanz, Ankämpfen. Ich wähle Nummer drei. Vielleicht ist das dieses „feeling in stereo“, das ich immer wollte oder aber ich konnte es schon immer, ebenso wie ich schon immer nur teilweise einen Filter hatte, durch die Therapie weiß ich, dass vieles, was ich verloren geglaubt hatte, nur geschlummert hat. Ist wohl vergleichbar mit den Borreliosebakterien, die nur am Rückenmark schlummern und auf ihre Zeit warten, aber das alles ist schon okay so. Vor einem Jahr dachte ich noch nichtmal, dass ich wie andere Menschen glücklich werden kann, dass keine Therapie daran etwas ändern kann; aber es geht, es dauert, es tut weh, man hat Rückfälle, man blutet sich aus für jemanden, dann lernt man, sich für sich selbst ausbluten zu können, man baut seinem Herzen ein Denkmal, es geht nicht weg, ist Muskel, ist da, nie weg und irgendwie gibt das die Gewissheit, dass alles wird. Letztlich ist alles endlich, das war es schon immer, das dachte ich schon immer, du, ich, wir alle: endlich. Das bringt wohl diese merkwürdige Eindringlichkeit, teilweise diese Panik, teilweise dieses Verlangen und es macht ja auch Sinn, dass man leben will; das bringt auch die Erkenntnis, dass man sich selbst retten muss, sich selbst retten wollen muss, sonst schlägt die Sinuskurve früher oder später noch heftiger zu. Und die, die mir dabei helfen, suche ich mir auch selbst aus.
Benennen muss ich es nicht, aber fühlen.

then it’s over like none of it ever was real

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Dazwischen bin ich einfach nur verlorengegangen, nicht komplett, noch nicht einmal halb. Vielleicht nur ein kleines Stückchen, irgendwo zwischen dem ja und nein und jetzt und vielleicht, nichts davon ist falsch. Habe mich in den Raum zwischen den Dielen geworfen, eventuell in den Raum zwischen Haut und Haut. Palpitation, mein Herzschlag in meiner Hand, das ist gut so, womöglich nicht permanent, aber es ist wichtig. Nicht nur das Zittern nach außen kehren und auch mal schreien, sondern ebenso die Angst nach außen kehren und auch mal weinen. Es wird sonst niemand für einen tun. Dann macht man das so lange, bis man merkt, wie relativ alles ist, wie relativ man selbst, wie gut man zu sich sein kann. Wie sehr die Angst einen festklammert, kein Wunder, dass das im Brustkorb immer im Dreieck springt. Die Wände sind beschrieben mit Namen und manche von ihnen sind schon so verblichen, dass man die Schrift kaum noch lesen kann, andere haben sich in die Wand geschnitten, da fällt das Licht rein, tut gut, es ist sonst viel zu dunkel. Wieder andere stehen an der Wand und lassen sie bluten, sie fließen dann durch den Rest des Körpers, als wären sie nie weggewesen. 
Meine Augen brüllen wieder nach Wald, dabei wollen sie Meer, sie sind laut, stechen, gelegentlich sogar mich selbst, das tut dann weh; an manchen Tagen ist der Schmerz dann undefiniert und ich weiß, dass das alles schon gut so ist. Es muss wehtun, manchmal, sonst wüsste ich nicht, dass ich noch da bin. Dann sage ich du, ich war hier, ich bin hier und weißt du, genau dasselbe gilt für dich, du bist da, es gibt dich und das ist gut so. Neben mir das Buch, dessen Name mich immer trifft, aber das auf positive Weise und das würde ich gerne abwandeln, abwandeln für dich, abwandeln für mich und ich hoffe, du verstehst. I don’t know where I’m going but I want to be there. Sei da. Ich weiß auch nicht, wo es hingeht, aber das ist schon gut so. 

ce que tu veux

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Das ist mal wieder die Straße da draußen, der Tee, der noch warm in meinem Magen liegt. Temperaturumschwung, war das die daran erinnernde Migräne oder doch das Glatteis von letzter Nacht? Gestern war ich doch wieder länger da, als ich eigentlich wollte, das ist wieder wie mit Ferromagnetismus, dabei bin ich aus Fleisch und Blut. Stelle mir Fragen, die ich schon mal meiner Therapeutin gestellt habe, komme nicht wirklich zu Antworten, das ist das Lied, das man auf den Wegen zwischen hier und dort im Ohr hat, wegen dem man automatisch schneller läuft, fast schon rennt und dann wieder diesen unfassbaren Drang hat, in den nächsten Zug zu steigen und wegzufahren, an ein anderes dort. Und man es dann trotzdem nicht macht, sondern immer nur auf die Dielen vor der Tür und den kalten Boden auf der anderen Seite der Tür starrt. 
Dann wieder die Frage. Ob die Stelle da am Nacken, die seitlich, ob die jemals so hart und kalt werden kann wie der Stein vor meiner Wohnungstür? Prüfen, ob die eigene Haut sich verändert hat, nein, sie ist noch weicher geworden. Aber das ist keine Libellenhaut mehr so wie früher, manchmal ist es so, als hätte ich bis Mitte zweitausendzwölf nur geschlafen und dann war da so viel Licht, dass ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte und verkannte, dass das Licht unter anderem auch von mir kam, dass man es auch pflegen muss und füttern und versorgen und dass das einseitig nicht funktioniert. Wie meine Therapeutin sagte manche Menschen müssen erst für sich selbst reifen und zu einer Erkenntnis kommen, egal wie sehr man sie ihnen auch schon die ganze Zeit aufgezeigt hat und ich nickte und ich noch weiß, wie sie mir sagte, ich solle mich bis ins neue Jahr hinein schonen. Wie ich mir meine Beine Mitte/Ende Dezember selbst weggerissen habe, wie ich seit dem dreißigsten Dezember die neuen wackeligen Beine immer mehr zu stabilisieren versuche und trotzdem bis Mitte Februar krankgeschrieben bin und wie ich trotz allem merke, dass die neuen wackeligen Beine genau dasselbe sagen wie die alten. Wie ich das trotzdem gut finde, eben obwohl ich mit einem tiefen Einatmen den kalten Boden vor meiner Wohnungstüre ansehe, wann auch immer ich nach hier oder nach dort gehe.
Einmal sagte ich ihr, ich hätte im Nachhinein trotzdem nichts anders gemacht, nichts davon war falsch, nichts davon kann man mir vorwerfen, dieses Festhalten, das war kein Umkrallen, das war kein Fesseln, sagte sie dann und ich fragen musste, ob man Angst wirklich anderen vorwerfen muss, da ich das nicht kann und sie mich wieder beruhigte und sagte sie haben einfach schon zwei Schritte gemacht, die andere erst noch machen müssen. An dem Tag ging ich relativ beruhigt aus dem Haus, von dem ich mir wünschte, es wäre ein Altbau. Am nächsten Tag stand ich dann am Meer und dachte an meine Versprechen und dann war da wieder dieses Cat Power Lied im Kopf und an den Stimmbändern, eigentlich hätte das jeder hören können, aber der Wind ging wohl zu stark. Am Strand durch den feinen, teilweise gefrorenen Sand gewatet, eigentlich hätte da der gesamte Ostseestrand in meinen Schuhen stecken müssen, aus ihnen aber fiel, als ich wieder hier ankommen musste, beinahe der gesamte Berliner Rollsplitt. Ich hätte ihn wieder zurücktragen sollen.
Das sind die inneren Spaziergänge, man muss sie nach außen kehren. Du bist dabei nie allein.

hard to believe how people move

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achtundzwanzig
Das war eine Pause; und auf der rechten Lehne liegen jetzt vier Abzüge vom Meer, dann das Mitschreiben. Ich erzähle dann vom Meer, was das mit mir gemacht hat, dann von den Vorfällen letzte Woche und wie wütend ich darüber war. Sie stellt Hypothesen auf, ich sage nein, das glaube ich nicht. Umgekehrt stelle ich eine Hypothese auf, die sie verneint. Nein, man kennt Sie gut genug, als dass man so etwas glauben kann. Ich spreche von Murphy’s Law, bin wieder wütend. Das online ausbluten, vor allem hier, mache ich um meiner selbst willen, wenn es Menschen hilft, umso besser. Letztlich ist es eine Form der Selbsttherapie. Das ist vollkommen in Ordnung so und bedenken Sie, dadurch merken Sie, wie vielen anderen es ähnlich ergeht oder erging wie Ihnen, Sie sind mit Ihrer Symptomatik nicht allein. Ich erzähle ihr von dem Kommentar eines Musikers, der eine Psychose erlitten hatte, wie er sagte, dass an Depression erkrankte Menschen potenziell ein Leben lang krank sein können und wie ich schlucken musste und feststellte, dass das nicht bedeutet, dass ich ein Leben lang auf einem dünnen Balken zwischen krank und Klinikaufenthalt balancieren muss. Das Wichtigste ist das Suchen von Hilfe und das Annehmen dieser. Sie nickt. Wir schlagen einen größeren Bogen, sprechen vom gesamten Januar, ich erzähle ihr von meinen Projekten. 
Sie gibt mir eine Hausaufgabe, sagt, ich habe diesen Monat meine Meinung über ein paar Menschen revidieren müssen, sagt, ich sei ein sehr vergebender Mensch, wenn man mir die Gründe mitteilt für ein Verhalten. Ich weiß nicht wirklich, was ich dazu sagen soll, sie fragt mich, ob es Facetten von mir gibt, die niemand kennt. Zähle innerlich auf, was es für Seiten von mir gibt, komme zu keinem Schluss. Weiß nicht, was ich noch zeigen kann oder soll. Mein Ausrast-Ich vielleicht, das wäre mein schwächstes Ich, das hat niemand gesehen, ich selbst auch nur selten. Oder das Libido-Ich, was niemand sieht außer Menschen, denen ich es zeigen will. Ansonsten fällt mir nichts ein, schließlich habe ich mich schon multipel ausgekehrt, selbst hier.
Am Wochenende habe ich eine Folge von Au Cœur de la Nuit gesehen, das waren Paris, Julie Delpy und Bela B und ich dachte dann, als der Abspann lief und der Jazz einsetzte an C’était un Rendezvous; wie ruhig Städte immer sind, frühmorgens, halb betrunken oder halb schlaftrunken, blaue Stunde im Sommer. Gespräche zu biorhythmusunfreundlichen Zeiten, draußen, am Wasser, Blätterrauschen, man könnte fast denken, man wäre am Meer. Und im Kopf etwas Jazz, vielleicht sogar das Geräusch von Stoff auf Stoff oder Haut, dieses distinktive Geräusch – wie im Zug von Schottland nach London, der, der an der Küste lang fuhr.

amazing it seems

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Meine Erinnerungen an Januar verbaue ich gerade via InDesign in einem Fotobuch, pro Monat wird das eins. Pro Tag eine Sekunde Video. Pro Tag ein Eintrag in meinem Tagebuch, dem digitalen. Irgendwo Worte, mit jemandem reden, der Versuch und noch das weit gestreute Scheitern, jeden Tag mindestens eine Viertelstunde spazieren zu gehen. Morgen. Und dann die Mappe. Jeden Tag eine Sekunde, ein Wort, ein Bild vielleicht, ein Moment. Und ich – vielleicht.
Ich wache auf und mich durchfährt dieser komische Gedanke, dieses Endgültige. Das war wirklich wie bei Rotkäppchen und der böse Wolf.

now I can’t feel a thing

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Oder an einem anderen Tag, Fragmentfortsetzung

Ja, ich hatte es dir versprochen. Dass wir am Meer wohnen würden, dass das Meer alles wieder gut machen würde. Die Farben, die Temperaturveränderungen, die Strömung, die mich immer so an dich erinnert hat.
Auch das geht vorbei, also diese Frage danach, sage ich dir. Schlimmer ist meine Sehnsucht nach dem Ort, an dem ich nie geboren wurde, in keiner Phase meines Lebens, weder nach meiner persönlichen Katharsis noch nach meinem Zusammenbruch, nach meinem Abschluss oder der letzten Reise auf die Insel. Ob wir einander jemals davon erzählt haben? Vielleicht hat man das ein Leben lang, vielleicht ist man wirklich lebenslang krank, deckelt nur, dass die Blase aus Lava platzt.
Dein dahingehauchtes wir sollten einsteigen und die Hand am Türöffner, als wäre das hier etwas ganz großes, das niemand von uns fassen kann, als hätte nie jemand etwas tragischeres erlebt. Da habe ich das Bedürfnis, dich an die Tage zu erinnern, an denen ich neben dir eingeschlafen bin, im Handtuch, in dem, das ich immer aus deinem Schrank genommen habe, weil es so nach dir roch, aber ich habe es dir nie erzählt, ich sollte es wohl dabei belassen. Du hast mir schon gefehlt, als du mit mir im selben Zimmer geschlafen hast. Wie unsäglich übermelancholisiert das klingt, alleine schon, wenn die Stimme des Unterbewusstseins das sagt. Doch fühlt es sich so an, als wäre es das größte Beruhigungsmittel für mich gewesen, als wäre das schon in Ordnung, sich an die eigentlichen Situationen nicht mehr erinnern zu können, nur noch an das Gefühl, das sie nach sich schleifen, denn ziehen kann man das nicht mehr nennen.

Von nun an versuchst du, möglichst nicht von den schwarzen Löchern zu reden, in denen wir noch drinstecken, wobei: du weißt nichts von meinem. Deine Angst, nachzufragen, wieso ich auf einmal verschwunden bin, wieso ich auf einmal kein Wort mehr gesagt habe. Absichtliches Rollenvertauschen, wir müssen alle immer so viel Verständnis haben, für alles, oft weiß ich nicht, wo du das täglich herholst. Diese gottverdammte, unsägliche Liebe für alle außer dir, die mich in den Wahnsinn treibt, weil sie keinen Sinn macht, du bist dieses schlechte Beispiel für Selbstwert und deshalb muss ich mir so oft auf die Zunge beißen, gelegentlich auch bis es blutet. Du erfährst wieder nichts davon, wenigstens redest du wieder.

Man sollte nie Musik wie Star Guitar hören, wenn man im Zug sitzt, meine Augen halten gar nicht mehr mit.
Als würde das irgendeinen Unterschied machen.
Du packst die Kekse aus, die du am Bahnhof gekauft hast und beißt behutsam, Stück für Stück, eine Ecke ab. Als könntest du dich nicht mehr an richtiges Essen erinnern.
Vielleicht kennst du nur deinen inneren Takt nicht, ich finde schon, dass das einen Unterschied macht.
Hast du jemals richtig zugehört?
Schlaf wäre jetzt schön, es ist sowieso zu spät für mich, das Meer muss eine gute Idee sein, ich kann mir nur jetzt vorstellen, wie du aus vollen Lungen heraus wie ein Kind lachen kannst, dabei darf ich dich nicht ansehen. Dein fahriges Gesicht, die Mischung aus Spontaneität und Alarmiertsein, der unsägliche Druck, dass man am Meer viele findet, die zum letzten Mal irgendwo hinfahren wollten und dass das keiner von uns beiden will. Weil alle irgendwie ans Meer wollen, bevor sie sterben, das ist die Relativität der Dinge und Menschen und Gefühle und doch fahren wir da hin, weil wir leben wollen und temporär vergessen haben, wie das so geht. Dieses normale Leben.

Wenigstens war ich immer da, sagst du dann, du weißt ganz genau, wie sehr mich das trifft. Das Wittern später Rache, dabei wollte ich nichts sehnlicher als das Gegenteil. Das ist deine Mauer, das ist die, die du wegen mir aufgebaut hast.
Und als du vor ein paar Tagen vor mir gestanden hast, du wusstest nicht, dass ich die Person hinter deiner Tür war, hatte ich vermutet, dass du mich wegschlägst, als ich die Hand nach dir ausgesteckt habe. Stattdessen hast du weinend in meinen Armen gelegen, die, wegen denen du mich fragtest, ob du mich berühren darfst. Dieses Schütteln, fast wie Schüttelfrost, das kam aus dem Kern, irgendwo tief drin. Du hast mir gefehlt, das hast du immer wieder in mein Ohr geregnet. Die Angst, dass du in meinen Armen, zwischen meiner Haut kaputtgehst, so wie ich früher in deinen. Ich konnte mich nie zusammenkleben, du dich auch nicht.

Am nächsten Bahnhof reißt du mich aus der Lethargie. Ich habe Herzrasen, ich kann mich nicht mehr bewegen, sagst du und ich kann sehen, dass du das Gefühl hast, du bist in deinen Augen eingesperrt. Deine Hände krallen sich um mein Handgelenk, das ist die Panik, von der du nicht willst, dass ich sie jemals sehen muss. Ob das der schwarze Hund ist, der, der nicht anders kann als bellen?
Ich erzähle dir von dem Ort, an dem ich früher oft war, wie ich mir immer gewünscht hatte, in den nächsten Zug steigen zu können, es nie konnte und es deshalb nie versuchte. Stattdessen den anderen zusehen beim Wegfahren, Abfahren, Ankommen, also beim Leben, das war meine Panik, aber die war nicht real.
Ich konnte meine Panik nie anfassen, so wie du mein Handgelenk jetzt.
Das ist so egal.
Drück so fest du willst. Drück zu, drück zu, drück zu. Das hier ist real. Und bald sind wir zu Hause.
Die Angst davor, dass du tatsächlich zusammenbrichst, ich spüre meine Finger nicht mehr, so fest drückst du. Vielleicht spürst du dadurch endlich dein eigenes Gewicht, ich kann nicht mehr, ich lege meine andere Hand auf deine an mir verkrampfte.

Du lässt los, wir rennen nach dem Anschlusszug, wir reden nicht über das, was passiert ist. Trotzdem hast du deine Spur so hinterlassen, dass sie noch einige Stunden sichtbar sein wird wie ein enganliegender Armreif.
Das kurze Zähnefletschen deines schwarzen Hundes, dieses schwarzen Lochs in deinem Kopf und meine Hoffnung, dass du umgekehrt nie etwas sehen musst, das dich so betroffen macht wie die Angst, die in deinen Augen war.

Es riecht nach Salat und dem kaum an Kaffee erinnernden schwarzbraunen Heißgetränks aus dem Bordrestaurant, die Gespräche der Mitreisenden sind herrlich weit entfernt. Du grübelst, ich mache dasselbe, nur in eine andere Richtung. Die Denkerpose, die man nur von Vernissagen und Museumsbesuchen kennt, verfällt zunehmend in deiner Gegenwart. Mein Magen knurrt so laut, dass es die beste Entscheidung ist, zu schlafen. Ich lege meinen Kopf in deinen Schoß als wäre ich eine Katze. Bald erinnere ich mich an nichts mehr.

I feel me slipping away, I wipe my feelings off, you made me untouchable for life

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Und dann hatte ich auf einmal im Zug nach Dresden diese latente Panik wieder im Blut und ich musste an S. denken und sah dann, dass Dinge auch funktionieren können, dass nicht alle automatisch verschwinden, nur weil es mal schwierig wird. Dass es den Menschen geben kann, dass wir alle nicht nur hoffnungslose Fälle sind. Irgendwie machte mich das traurig, aber dann auch doch wieder nicht.
Ich habe Dinge per Zufall gesehen, ich habe Dinge gesagt bekommen, Dinge, die ich nicht hätte sehen sollen und von denen man mir nicht hätte erzählen sollen; sie machten mich wütend, dann hilflos und dann dachte ich an dieses verdammte Bauchgefühl und die kleinen Schnitzer in meiner Haut. Narben, du verstehst. Zumindest hoffe ich das. Dann gab es diesen Moment, als ich dachte, jetzt ist es gut und irgendwie kam trotzdem der Gedanke an nichts ist gut zurück. Dass ich nicht direkt darüber schreiben will, auch wenn ich wütend bin. Enttäuscht, verletzt, verstört. Dass ich darüber schreiben muss, weil ich sonst aufplatze, aber es doch nicht tue und ich es bemerkenswert finde, es, dieses nicht reden und mir Dinge gesagt haben, die man nicht meint. Ich wusste schon, was gesagt werden sollte. Wie tief deine Schnitzer gehen, habe ich immer nur erahnen können, ich kann immer nur von meinen reden, anderes steht mir nicht zu. 
Am Abend, vor dem Einschlafen dann stolpere ich über einen Artikel, das Fazit trifft mich in Mark und Bein, man entscheide alles aus Liebe oder Angst, in jedem einzelnen Moment, wie man sich entscheide, wird sozusagen „chronisch“. Das Nachdenken darüber, wie meine Entscheidungen zu werten sind. Der Großteil aus Liebe, zu mir selbst, zu einem anderen. Ja, einige aus Angst, vor mir selbst, vor anderen. Angst als Schutzfunktion, ich habe Höhenangst, Angst davor, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren (schließlich ist er das einzige, was ich wirklich habe, alles andere ist rekonstruierbar) oder die Kontrolle über meine Psyche. Alles andere? Eine Warnung, man muss aufpassen, dass diese nicht von alten Oberannahmen gefüttert werden. Aufpassen, dass man sich nicht zerdenkt in dem Prozess.
Am Bahnhof dachte ich oh, vor exakt einem halben Jahr warst du das letzte mal hier. Der Gedanke daran, was ich dort als letztes getan hatte. Der Zug nach Leipzig, der dreiundzwanzig fährt, alle zwei Stunden. Ich bin erschrocken, es roch wirklich nach alten Menschen darin, dann nach den Butterbroten der Frau, die mit ihrem Kind auf der anderen Seite des Gangs saß. Linien, links oben über mir, die, die durchs Land folgen, immer diese Sinuskurven, ich dachte an den Tag vor einem halben Jahr, eine fünfzehn. Ich dachte schlussendlich doch wieder das, was ich immer sagte und letztlich gehe ich immer noch nicht weg, das Meer hat mir das entgegengeschrien, selbst die Gischt und die Möwen und Krähen; der runde Spiegel neben dem TV, ich konnte im Zimmer, im Bett liegend, das Meer sehen, mich selbst und mit Drehen zur Seite das leere Bett neben mir. Nichts auf der anderen Seite habe ich berührt. Habe die Schokolade liegen lassen, habe die Kissen so gelassen, die merkwürdig dünne Decke. Ich war und bin immer noch analog in fast allen Belangen und ich habe geatmet, ich habe mich in der Tat nach außen gezittert, man wird immer so angenehm relativ am Meer. Ein Entenpaar, das mir folgt, es hat mich beäugt und umgekehrt, ich musste lachen, weil ich an meinen Namen denken musste und an die Bedeutung einer falschen Aussprache dessen im Schwedischen. Die Menschen, die am Strand Französisch reden, sie erzählen einander von der Côte d’Azur und dass es dort so teuer sei und viel zu warm; ansonsten gibt es nur Leute, von denen ich mehr verstehen kann, weil sie irgendwie in meinem Kopf dieselbe Sprache sprechen wie ich, dann hört man genauer hin und bemerkt, dass es doch eine andere ist.
Die Angst vor mir selbst, vor meinem eigenen Scheitern, habe ich heruntergeschluckt. Was nützt sie mir, ich kann in stereo fühlen, das bringt man sich bei, das machen andere nicht. Andere machen einen nur dann glücklich, wenn man es auch selber kann. Die Angst können sie beruhigen, das innere Zittern muss man selbst verschwinden lassen. Ich bin autark, man sollte mich um meiner Selbst willen lieben, es gibt mich in meiner Zusammensetzung nur ein einziges Mal, auch wenn es so erscheint, als sei ich ein Kaleidoskop, wenn man mein Inneres näher betrachtet. Löcher will ich nicht hinterlassen haben, aber auch wenn ich das getan habe, glaube ich nicht, dass sie von Bedeutung sind oder waren oder sein werden.
Momentan ein Projekt von mir, ich schreibe, dann im Kontaktbuch diese eine Adresse und auf einmal kam in mir wieder der Gedanke aus dem Krankenhaus hoch: wofür zur Hölle leide ich hier eigentlich? Ich brauche meinen persönlichen Zeilenumbruch, werde nicht mehr an mir scheitern, bin warm und stark und garantiert nicht dumm oder der Psycho für den man mich dank Psychiatrieaufenthalt zu halten scheint. T., der sagte, die meisten interessanten Menschen haben irgendeinen Schaden. Im Kopf vervollständige ich eine Liste psychisch kranker Schriftsteller, Künstler, Schauspieler. Psychisch krank, angekratzt, eingekerbt, was macht das schon für Unterschiede. Am liebsten soll man die Fäden sehen, die übrig geblieben sind von den Wunden von dir, etwas, das man erst notdürftig wieder zusammengetackert hat, neue Haut, noch weicher als der Rest. Wieder diese Kerben, Erinnerungen an Für immer die Menschen, die Dielen, deren Knarzen, für was zur Hölle hälst du mich eigentlich? Antwort: irrelevant. Dann irgendwann: langsam wird es egal. Es ist langsam zu spät, ich habe etwas besseres verdient: für mich selbst. Ich will leben, ich will nicht nur in dieser Schwebe sein, dieses Beinahe-Leben, brauche keinen Brandbeschleuniger. Nie habe ich etwas anderes gemacht, immer gebrannt, es hat selten jemand gesehen. Selten: das waren die Menschen, die ich mal geliebt habe.

love will tear us apart again

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Oder an einem anderen Tag, Fragmentfortsetzung
Die Bäume sehen so aus, als wären sie Zeugen all meiner Verfehlungen gewesen, als hätte sie nichts davon erschüttert, als hätte es meine Sünden eigentlich nie gegeben. Erinnerungen an die Rinden in meiner Kindheit, sie platzen ab wie deine Worte an mir, ich kenne nichts davon.
Sie nennen es oft schwarzer Hund und ich weiß nicht, was an einem schwarzen Hund krank sein soll.
Er bellt und knurrt in deinem Kopf, das denke ich mir. Dann fährt der Zug ein, die Ansage am Gleis gab es nicht. 

but I thought you might take me home

Ich hatte mir da am Meer teilweise die Frage gestellt, wieso mich das Wasser so sehr “erdet” und irgendwie habe ich darauf keine Antwort gefunden. Vielleicht ist es das stete im permanenten Veränderungsprozess, das Meer, das immer wieder an die Küste, an den Strand, an die Mole, an die Seebrücke schlägt. Möwen, Krähen, in Schwärmen im Sand, nein, diesmal eigentlich mitten im Schnee. Was auch immer man dann denkt: alles bleibt, nichts ist veränderbar, nichts bleibt bestehen, nichts geht durch die verschiedenen Phasen, durch die Menschen nach einer Trennung gehen, nach einem Tod, nach einem Abschied. Das Tippen meiner Fingerkuppen auf der Tastatur, auf dem Display. Wir sind die Veränderung selbst. Nur bleiben wir oft so stet am Verändern, dass es gar nicht mehr auffällt, wenn wir es nicht tun.
An manchen Tagen fühle ich mich dann auch noch nicht einmal wie ich selbst. Anfang der Woche die Frage: “aber ist es nicht ziemlich schwer, wenn du aus einem gewohnten Umfeld, aus einer Umgebung, in der du dich wohlfühlst, herausgerissen wirst?” Man muss sich doch selbst organisieren können. An einem Tag ohne einen festen, von außen auferlegten Zeitplan, etwa durch Arbeit, Uni, muss man sich ebenso selbst organisieren können. Logisch, dass, wenn man das nicht kann, man über kurz oder lang wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Fixpunkte, sonst funktioniert auch der Alltag mit Steuerung nicht. “Ggf. reserviert” – nicht nur gegebenenfalls. Das ist das, was die meisten vergessen.
Die Seeluft, der Wind, die steife Brise hat an meinen Wangen gekratzt und an den Lippen. Man muss sich nicht mehr mit einer Maske beschäftigen, man wird rundgeschliffen. Das Atmen fällt etwas leichter, am Wasser wird alles immer so relativ, ich niese nur in meinen Hemdärmel, am Oberarm, ich bilde mir ein, dass die Bazillen dann nicht ganz so weit streuen. Und man könnte die Hand geben, nur gibt es hier niemanden, dem man die Hand geben will. In der Lobby überall Spiegel, sie sollen nach Barock aussehen, ich denke an die heftig überladenen Kirchen in der Münchner Innenstadt. Der Versuch, sich an den ersten Nervenzusammenbruch zu erinnern, das war Spätsommer, ich war vierzehn, die Luft in München stickig und viel zu heiß für meinen Kreislauf. Verlaufen hatten wir uns, am Ende saß ich zitternd in einer Kirche, einer schlichten, draußen fast vierzig Grad, ich konnte mich vor Schüttelfrost nicht mehr bewegen. Sie hatten es alle mitbekommen obwohl ich es nicht wollte, dann die beruhigende Stimme der Tante, mit der ich nicht verwandt war. “Atme einmal tief durch. Tief ein, tief aus. Du wirst sehen, dir wird es gleich besser gehen.” Ich hatte Angst, dass sie Unrecht behalten würde, aber sie lag richtig. Die innere Panik ging vorbei, das Zittern verschwand, mein Schamgefühl schweißte uns sogar noch enger aneinander. Meine Tante hatte mir eine Schreibmaschine geschenkt, eine, auf der ich schon die ganze Zeit, die ich bei ihr war, geschrieben hatte. Der Geruch der Farbbands, wenn man den Deckel aufmacht, ist bis heute ein erhebendes Gefühl. An Courier ist als Schriftart nicht zu viel auszusetzen, vielleicht nur ein “es riecht nicht wie meine Schreibmaschine”.
Im Zug reden sie von den Fehlern ihrer Partner, sie reden davon, dass man in seinem Leben in verschiedene Abgründe schaut, meist in den eigenen, und wenn man einen Abgrund gefunden hat, der kompatibel mit dem eigenen ist, also nicht so schlimm wie der persönliche Mariannengraben, solle man zugreifen, nicht mehr loslassen, nie wieder loslassen. Sie sagen das mit einer Überzeugung, die ich erst noch lernen muss. Da waren Fußspuren im Schnee auf dem Sand, daneben Spuren vom Hund, ein bisschen Gischt, die die Muscheln hat mit Kieselsteinen zusammenfrieren lassen. Auf meinem Balkon, dem zur See heraus, Schneeflocken. Ich stehe draußen, im Handtuch, bis ich meine Hände nicht mehr spüren kann. Es ist gut. Das Meer ist da und geht nicht mehr weg. So wie ich.
(Daughter – Home)