self control

Früher erzählten sie oft vom Dickicht zwischen den Laken. Früher war ich oft darin.

Früher haben sie mir gesagt, es sei ein leichtes, sich in den Kerben anderer Menschen zu verrennen, vor allem, wenn sie ähnlich geformt zu sein scheinen wie die eigenen. Sie haben gesagt, dass manches wieder ausbeult mit der Zeit, dass die einen Pflaster und Decken brauchen und die anderen Tieflader und Therapeuten. Generell haben sie das Wort Zeit sehr oft verwendet.

Sie sagten nichts davon, dass manche Krater tiefer werden je länger man wartet oder dass deren Spiegelung Fluchtreflexe streut. Gewarnt haben sie nicht vor Narziss und Demian oder dem lauten Poltern von Versprechungen, die gekoppelt sind ans Gewissen. Ich bin nicht der Fluchtreflex der anderen, ich bin nicht die von ihrer Kerbe ausgelöste Schneise.

Es zieht und zerrt und schiebt und treibt irgendetwas in meinen Venen, vielleicht ist das aufkeimende Indifferenz, vielleicht Müdigkeit. In meiner DNS nur ein Clusterfuck aus den Seelen meiner Vorfahren, kondensiert, begrenzt von meinen Schädelknochen. Manchmal pulsiert er durch meine Erinnerungen in Amöbenform.

Das Wort „früher“ haben sie zu häufig verwendet, Kreise sollte man nicht erst im Alter ziehen. 

Es ist so leicht zu vergessen: du bist in keiner Weise die Menschen, die dich nicht lieben können, du bist kein Altlastenleben. Dann wieder der Pfleger aus der Klinik, der immer wieder sagte: Sie haben eine Verantwortung den Menschen gegenüber, mit denen Sie zu tun haben und die Ihnen wichtig sind. Sie haben die Verantwortung ihnen zu sagen, was sie in Ihnen auslösen. Und die anderen haben dieselbe Verantwortung Ihnen gegenüber. Mein Fluchtinstinkt, trotzdem Aushalten.

Dann, vereinzelt: ich ziehe und schiebe und zerre mich nicht mehr zurecht für die Schneisen in anderen drin. Ich darf hier sein, dafür brauche ich keine Genehmigung.

(Laura Branigan – Self Control)

do me a favour

Stell dir das mal vor, Menschen, die Gefühle horten, auf Vorrat leben und fühlen. Dann für alle außer sich selbst etwas von ihnen übrig haben, so wie jemand, der verhungert, während er die schönsten Speisen vor Augen hat. Du sagtest immer, ich solle nicht deinen Rücken entlangkratzen, da fänden sich Narben vom Großwerden; ich nickte, dachte an die Narben auf meinen Oberschenkelaußenseiten und fuhr nur noch mit den Fingerkuppen entlang. Diese Ziehharmonikahaut kenne ich schließlich nur zur Genüge.
Dann erzählst du mir, dass die Leute bei dem einen Mann alle weggestorben sind und wir uns fragten, wie viel Tod auf einmal überlebt werden kann. Bruder – Sohn – Frau.
Was mich trauriger macht, kann ich dann oftmals nicht sagen, das ist so wie:
macht es dich trauriger, zu hören, wie die Straßenbahnen über dir ohne dich an Orte fahren, an denen du sein willst oder macht es dich trauriger, die Abflugtafeln am Flughafen zu beobachten, wie sie sich Aktualisieren ohne jegliches Zutun von dir?

Wir haben angefangen, das alles herauszufiltern. Schizoide Persönlichkeitsstörung, Typ: hidden. Er schweigt mit mir am Anfang jeder Sitzung und nachdem wir uns mit Handschlag begrüßt, ich die Balkontüre geschlossen habe, und wir beide Platz genommen haben auf eigentlich sehr bequemen Ledersesseln, fange ich irgendwann an zu lachen. Auf seinem Schoß liegt meine Akte, 250588G♀ oben drauf. Er schreibt auf weißen Seiten, kein Klemmbrett. 
Ich starre auf das Mobilé, das in nordöstlicher Richtung in meinem Blickfeld hängt. Geradeaus ein riesiges Gemälde mit einer Rapslandschaft. Ich starre auf die Récamière unter dem Mobilé, brauner Überzug, sehr viele Kissen, ein, zwei Decken. Da will ich nicht drauf, ich winde mich schon im Sitzen vor allem, was zu viel mit mir zu tun hat. Jedes Mal, jedes verdammte Mal dieses riesige Stück Kloß im Hals, die Schmerzen in der Brustgegend und sonst Gewichtlosigkeit, wenn er diesen einen bestimmten Punkt in mir triggert, der mit meiner frühen Kindheit zu tun hat. Da ist ein Sumpf in mir drin und ich habe Angst, ihn zu betreten, aber ich stehe nunmal schon im Morast und mir sind die Füße kalt.
An manches kann ich mich erinnern. Er erklärt mir viel, erklärt mir die Modelle, die verschiedenen Herangehensweisen der Psychologen, der Traumapäpste. Wir lachen oft und wir lachen viel. In letzter Zeit krieche ich wieder in mich hinein und schlage alle von mir fort. Ich schlafe viel, mein Interesse und meine Begeisterungsfähigkeit hält sich im unterirdischen Rahmen. Er notiert sich ob meiner Offenbarung darüber viel. Manchmal zeige ich ihm mein Notizbuch, manchmal gestehe ich ihm, dass ich manche der Begriffe, die er mir erklärt, auf Wikipedia nachschlage um einen minimalen Überblick zu bekommen. Er lacht dann, sagt mit sarkastischem Unterton: natürlich, ich lache auch und dann glaube ich zu hören, wie er gerne sagen möchte: Sie hassen es, die Kontrolle zu verlieren. Diese gottverdammte Selbstversorgung.

Und dann fange ich an auszurasten, weil mich die derzeitige Hass-Welle aus Sachsen so mitnimmt und ich erzähle ihm von dem Baumarkt, dass ich ihn kenne und noch weiß, wie es darin gerochen hat. Dass ich nicht weiß, wie ich mich noch mehr distanzieren soll von dem Sumpf, der in Sachsen wohnt. Mit ein paar einfachen Worten schafft er es, mich wieder zu beruhigen. Ich sage: ich will einfach nur ein paar Eierschalen ablegen, die noch an mir kleben von früher. Ich denke: ich bezweifle, dass ich alle losbekomme.

ich will nicht deine Liebe
ich will nur dein Wort

(Herbert Grönemeyer – Mensch)

le bal des oubliés

Manchmal schmückst du dich mit fremdem, falschem Stuck: dann habe ich Schwierigkeiten, dich zu erkennen. Oder ich rede mir einfach nur ein, dass du nicht du bist sondern ein anderes „Du“, eines mit großen und kleinen Buchstaben, alternierend. 
Das ist wie mit dem Telefon, das mich auf eine ganz merkwürdige Art und Weise nennt, von dem habe ich das ja verlangt, das ist okay, das tut nichts zur Sache. Gelegentlich sollte ich trotzdem aufpassen, die Hüllen wechsle ich auch gern.

Von Zeit zu Zeit riecht es so wie vor 8 Jahren (in Worten: acht) und die, die mit mir ein Stück liefen, stehen an anderen Punkten, fangen damit an aufzuhören und beginnen Bücher zu schließen. Als könnte ich mitreisen. Im Tunnel verlieren die Züge Öl, mittelalterliche Maschinen in modernem Gewand. Die Busse haben sie modernisiert, der gute 168, oh Russell Square, oh Senate House. 
Die Männer mit den Müllwagen, mein Platz auf dem Dach und der BT Tower. Orte: längst nicht mehr gelebt, trotzdem wiedererkannt. Oft vergesse ich meine Städte und die verschiedenen Versionen „Du“ ((du), du, Du und DU) und wenn sie mich wieder einholen, prasselt der Asphalt in mein Gesicht; nein, nicht der geräuscharme. Der laute, der helle, der mit den Noppen, der, der die Füße malträtiert.

Das war damals, das war manchmal schon okay, das tut heute nichts zur Sache. Nur bin ich mittlerweile jeden Tag wieder so müde und ich fokussiere mich auf meine Kopfschmerzen, die verhindern, dass ich weiß, wie ich mich fühle. Das wäre eventuell gut. Ich will nach Hause. Ich will zurück in die Welt ohne Filter. Mir fehlt der Geruch der Themse und das Geräusch, das Herrenschuhe machen auf frischem Teppichboden. Ich muss mal wieder nach Hause; bis ich es wieder kann, spiele ich mir diese Stadt als Alternativ-zu-Hause frei. Ich habe gehört, es soll hier viel Wasser geben.
 

C’est vrai tout ça me fascine
J’en oublie le sommeil
Et chaque fois j’imagine
Les couchers du soleil

(Paradis – Le Bal des Oubliés)

Gasoline

19 6 15

Sie laufen durch die Straßen (blauer Lidschatten, lila Kajal) und angepasst daran ist ihre Garderobe (als ob das mit den Haaren dann nicht auffallen würde). Meine Irritation und die Anschlussfragen; so wie gestern der Mann im Taxi und wie wir uns unterhielten über Filme (wir alle mögen Léon – Der Profi). Aber dann: wieso erzählst du mir von den Löchern tief in deiner Seele drin?

Das alte Hemd aus Luxemburg, Gewohnheit ohne Emotion, grau (eigentlich H&M, made in Bangladesh) und mein Geruch, der darin seit Jahren feststeckt (zum Glück nicht der ursprüngliche, schwere After Shave lastige).
Wie man sich so spiegelt in den Oberflächen und den Ebenen und den verlorenen Gegenständen, merkt man: wir sind so sehr darauf angewiesen, dass die Dinge funktionieren, nicht nur hauttief. Als ob es sonst irgendetwas ausmachen würde, die Instrumente der anderen Leute, deren Klauen und Krähenfüße zu sehen. Als wäre es eine Option, sich nicht damit zu beschäftigen.

Doch wovor hat man in diesen Momenten Angst, weswegen schreien sie so? Ist es, weil der Takt nicht mehr so wirklich übereinstimmt mit ihren Wünschen und Vorstellungen? Oder ist es, weil die Proportionen nicht mehr stimmen, nach unten und nach oben? Das zu große Hemd (immer noch) und die Fragen, die ich deswegen beinahe gestellt hätte (die U-Bahn wird immer langsamer). Wie damals, als das Klacken der Schritte unter dir Panik auslöste.

22 6 15

Weil ich doch immer
falsch lag und man
diese alten
verdammten Muster
mir nicht einfach aus dem
Fleisch schneiden kann

Auf der Rolltreppe zum
Gedankenrichten sehe ich stehen:
Magie
Magie
Magie
(dreifach) rollt in den
Schacht hinein und verschwindet
in meinen Hinterkopf

23 6 15

So ein wenig schlafen sie dann doch ein. Magie, Haut und Text als Interface. Auf Füße treten an Haltestellen an denen der Zug nie vorbeirauscht, ich entschuldige mich für meine Anwesenheit. Warten (geduldig).
Mir gefriert das Blut in den Waden so sehr und manchmal bleibe ich auch an den Leuten hängen wie fransige Wolle an Klettverschlüssen. Je länger ich hängenbleibe, desto leichter driesle ich auf.

but there’s always nighttime 
(Alpine – Gasoline)

I’ll soon return a hurricane

Man sagt, die Zeichen kann man sehen und ich hinterfrage die Intention. Die Hilflosigkeit steht dir ins Gesicht geschrieben und während ich mich frage, was wäre, würde ich dir mit Edding Worte auf die Haut malen, ziehst du die Augenbrauen hoch, zusammen, verquer. „Das könnte man auch gutgemeinte Kriegserklärung nennen“, Fragezeichen im Schlepptau, es wird Regen geben. Sage ich.
Die überaus vereinfachte Form der Dinge, mal ohne Barrieren, mal mit, Atombomben in der Bauchgegend, ich muss mich kurz hinsetzen. Rudern, zurück, vor, zur Seite. 

An deinen Ausgängen ist es immer frisch gestrichen.

Ich möchte zu bedenken geben:
Er begegnet mir an der Haustür / im Flur / an der U-Bahn-Station, und ich weiß ganz genau, dass wir in aufeinanderfolgender Reihe beim gleichen Menschen die Gedanken geordnet bekommen.

I’m a little bit slow
When the mind falls out
There’s nothing left but the echo

(Brasstronaut – Bounce)

Club Foot

Dann verlassen sie die Städte und die Gegenden,
die wir zusammen kannten,
sie verlegen die Mittelpunkte nach
vorn (Norden) – niemand kann es ihnen verdenken.
Wann könnte man die Angelegenheit ad acta legen?
Verschiedene Briefkästen, Briefkastensysteme nur für
meinen Abschied von deinem inneren Allerlei.
Warten,
die Leute riechen nach Schweiß und der
Ankündigung von Regen.
Verschiedene Varianten „blau“, Pacific,
West Coast, du verstehst. 
Fasziniert ob der Geschwindigkeit
der Tropfen auf passierenden Scheiben.
Mein Leben – deine Aussprache
Kontaktversuche und das „durchaus“, ohne,
dass meine Irritationen funktionieren.
Wie schwer sind 10kg Kontrollverlust
tatsächlich?

Lieblingsworte, du verstehst (zumeist nicht)
(oder: Rush Hour) – man nennt das
bevorzugt: Einatmen
– eventuell: Ruhe,
hier und da: Lachen, unruhiges
jedoch immer: ähm

I tell you I want you
(Kasabian – Club Foot)

soggy clothes and breezeblocks

Sie packen die Kunstmagazine ein paar Reihen unter die Pornohefte. Emotionales sich-Entblößen. Passt eigentlich zusammen, ich lache (ein) wenig. Dann drehe ich mich um, ein Mann schaut mir lange ins Gesicht. Er sagt, ich habe Knopfaugen und dabei lacht er so irritierend, dass ich an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln muss. Er erzählt von den verglasten U-Bahnhöfen, den verglasten Schächten von ihnen in Südkorea: damit sich niemand mehr vor die Züge werfen kann.

– Es riecht nach Endzeit –

Die Liste mit den Ängsten lädst du dir aus dem Netz, du musst sie nur mit deiner Realität abgleichen um neue Ängste zu finden (obwohl du eigentlich nach Nähe suchst und nicht um Aufmerksamkeit buhlst). Aber nirgendwo brachten sie dir bei, dass es allen Anderen (Menschen) genauso geht. Die Suche nach: Gold in Menschenkernen – doch, eigentlich: einem kleinen bisschen Wärme fürs Interface.

– Deine Postkarten habe ich aufgehoben –

Manchmal ist es so, als würde man eine Erkältung verschleppen. Sie kommt immer wieder, braucht mehr Zeit, bis man einigermaßen gesund ist, aber sie benötigt mehr Aufmerksamkeit, damit du dich komplett auskurieren kannst. Sie sagten: das kann sich so verschleppen, dass es in deinem Herzmuskel landet. Ja. Mit einem Lungenflügel, einer Herzklappe lebt es sich schlecht. Dann: das gemeinsame Klatschen in einer Gruppe, in der man jemanden Off-Beat klatschen hören kann. Später schaust du auf deine Hände und stellst fest, dass du es selbst bist. Du malst dir Bilder im Kopf aus. Aber du hälst keine brennende Kerze in der Hand, du bist in einem lichterloh in Flammen stehenden Raum. 

– Die Zyklopen unter den Bluthochdruckgebieten –

Denn dann geht es um das Erinnern und die einzelnen Bruchstücke im Kopf, die die verschiedenen Platten zusammenhalten – die Erinnerung als Spachtelmasse, Fuge, Aufgang, Einzelausstellung, gelegentlich platzt sie aus ihrem angestammten Platz heraus. Das Wissen darum macht uns einmal mehr zu etwas anderem als einem Tier mit Seele.

do you know where the wild things go?
(alt-j – Breezeblocks)

but see (I)

(alternativ: gelesen)

Die Luft schlägt sich in Wellen.
Das erste Mal fällt es mir auf, Stein, zerschlagen in blau.
Ich folge dem Mann um das Haus, das er säubert. Rote Arbeitskleidung, Reinigungsbesen. Er läuft langsam. Im Haus drin verarbeiteter Stahl.

Ich möchte mir ein Moleskine kaufen, ich korrigiere: noch eins. Irgendetwas braucht man, auf das man hinarbeiten kann. Und sei es die Freiheit leerer Seiten. Mir kommt ein Name in den Kopf. Walter Benjamin. Walter Benjamin, verdammt, wer ist das? Bestimmt ein paar Mal gelesen, ein paar Mal gepostet, trotzdem vergessen. Manche Namen klingen, andere schleifen sich ein. Wie die knarzende, nicht geölte Tür der Wohnung unter uns. Jedenfalls steht dieser Walter jetzt vor mir, Philosoph, war ja klar. Ich würde gerne dessen Tagebücher mal lesen. Dann wandert mein Blick zu Wittgenstein. Ich erinnere mich: Wolfgang Herrndorf, das ist die Charité, an der ich vorhin mit der S-Bahn vorbeigefahren bin, Arbeit und Struktur und sein Grab, beides nicht allzu weit entfernt.

Der Klang von Stille ist angenehm, dann das Ruckeln der U-Bahn, hörbar gemacht – könnte bitte jemand meine Gedanken aufzeichnen?
P sagt, ich soll mich nicht limitieren und während ich daran denke und in die Glasscheibe der Abteiltrennwand schaue, mich dank des Mannes in schwarzer Jacke spiegeln kann und dabei mein Gesicht studiere (das macht ihr auch, ich weiß das), erscheint mir der Fahrgast schräg hinter mir wie ein Nachrichtensprecher, mit dem ich quasi aufgewachsen bin. Zwanzig Uhr, Guten Abend, meine Damen und Herren, dann fängt der Mann an zu fluchen und ich verwerfe jegliche Ähnlichkeit.
Mein rechtes Ober- und auch das Unterlid fängt bedrohlich an zu zittern. Man sagte mir mal: das ist Stress. Oder: dir fehlt MagnesiumDann reden sie von Haftbefehlen. In meiner persönlichen Blase ist es schön, es ist warm, ich hebe mich vom Muster des Sitzes ab. Wie sie schimpfen: Übergang zur U12, keine Ansage freundlich.

Umsteigen – ich frage mich, ob die Leute hinter mir (also die auf der Rolltreppe) auf meine Beine schauen. 40 Den, wie durchsichtig kann das sein? Sieht man meine Leberflecke? Die Muttermale auf der rechten Außenseite? Zumindest redete ich mir das immer ein, dass es Muttermale sind, aber es ist am Ende nichts anderes als eine pure Störung meines Melatoninhaushalts, da an diesen Stellen, nur hat es diese Störung weder zu einem Feuermal noch zu einem ausgewachsenen Leberfleck geschafft. Glück gehabt.

Beim Aussteigen laufe ich gegen eine Signalanlage, die U-Bahn ist zu lang für den Bahnsteig; belgische Waffeln sind mein Untergang. Ich schließe die Tür zu unserer Wohnung, sie ist leer.

oh, there is thunder in our hearts
(Kate Bush – Running Up That Hill (A Deal With God))

sometimes I’m cold and sometimes I burn

16

Viel Sonne, gute Laune bis circa halb sieben. Ganze Nacht durchgeweint – erster gefühlter Rückfall seit sehr langer Zeit; manchmal klopfen Muster von vor fünf Monaten an meiner Tür. Schlafe erschöpft zu Arbeit und Struktur ein.
Die Frage, wie viel das Anti-Depressivum meine Emotionen gedämpft hat, wie viel man damit tatsächlich eigentlich fühlen kann. Stelle fest: im Vergleich zu dem, was ich jetzt an „Emotionsspektren“ fühlen kann, war ich die letzten Monate emotional tot.

17

Ich fühle mich sehr zu viel. Viel Herrndorf, Gedanken an Christa und Kopfschmerzen. Schlafe am Nachmittag ein, habe das alte Berlin verkauft, die alten getrockneten Blumen von vor einem Jahr liegen endlich in einer Mülltüte in den Tonnen im Innenhof. Will mich gerade nicht mehr an März bis Dezember des letzten Jahres erinnern.
Vormittag. Erstes Gespräch, ich weine vor ihm, endgültigen Test bestanden, dann sagt er: Sie sind krank und in Bezug auf das Ausschleichen bzw Absetzen des Medikaments: (…) da ist es normal, dass Sie dünnhäutig sind. Vergesse das mit dem krank sein immer wieder, aber bei manch anderen Krankheiten merkt man auch nur die schlimmen Phasen. Blättern im Notizbuch, das ich in der Klinik führte: die 30 werde ich nicht erleben. Erschrecken. Kann man das vergleichen mit Schnupfen, Reizhusten und Tuberkulose? 

Ich fühle mich sehr zu viel. Nennen wir das Selbstschutz und beginnen wir mit einer Verknappung der Sprache. Schon längst begonnen und umgesetzt. Konsolidierung. Heute: Eingangsbestätigung des Antrags auf Zulassung. Bitte sei einmal einfach nur genug. 

Der Himmel läuft goldgelb an im Sonnenuntergang. Das sieht man Dank der Innenhoffassade, die mich anblickt. Werde noch bis mindestens Februar hier wohnen bleiben. Muss mein Leben erst noch ersehen. 
Wollte eigentlich Christa, Herrndorf und Helene Weigel auf dem Dorotheenstädischen besuchen gehen. Zu kalt, zu windig, das herausschwemmende Moclobemid hat schon genug Dienst getan. 

Manche Menschen sind vom Körperbau her groß, im Inneren aber sehr klein, bei manchen ist es umgekehrt. Selbstschutz ist mir derzeit einfach wichtiger als Etikette. Mag mir momentan nur von meinem Therapeuten im Inneren herumwühlen lassen; reden und erklären kann man, das ist kein herumwühlen. An alle Kopfschüttler: lauft mit meiner Biografie, meinem Empathie-/ & Sensibilitätslevel und meinen bisherigen zwischenmenschlichen Erfahrungen mal zehn Tage in meinen Schuhen durch die Stadt (und tragt dazu noch ein riesiges schwarzes Loch im Kopf und teilweise unnötige Schuldgefühle, die aber größer sind als die Milchstraße mit euch herum) – dann können wir gerne über Selbstschutz debattieren. Wer mich darüber hinaus, deswegen oder wegen was auch immer, zurücklassen will, soll das tun. Ich lerne gerade laufen und versuche mich selbst im Zwischenmenschlichen einem Normal anzunähern, das mir jedes Mal viel Kraft abverlangt (aber ohne meine engsten Vertrauten und Freunde nicht umzusetzen wäre – ich bin für jeden Einzelnen von euch dankbar). Ich habe früher nicht gelernt, wie das alles funktioniert. Jeder Tag ein Zurückkämpfen. Er sagte heute vormittag: Sie bekommen sehr viel hin, aber in einer Sparte sind Sie defizitär, der Selbstversorgung – und da sprechen wir alle Ebenen an. Sie dürfen sich anschauen, was alles funktioniert. Sie funktionieren. Ich funktioniere. Funktioniere. Funktion. Routine gesucht, erarbeitet, erkämpft.

Arbeit und Struktur.

I’m empty but
I’m never alone

(Sophie Hunger – Supermoon)